Die Herrin der schwedischen Favelas

Anna-Karin Engdahl vor ihren neuesten Werken

Im engen Atelier riecht es nach Farbe, an den Wänden lehnen und hängen Leinwände in Schichten übereinander, auf den Tischen Modelle aus Pappe und Klebeband. Anna-Karin Engdahl öffnet ihre Mappe. „Favelas sind das Symbol für Elend“, erklärt sie, „und dieses Elend gibt es auch im Inneren. Wie oft bin ich im ruhigen, wohlhabenden Schweden Menschen begegnet, die hinter ihrer friedlichen Fassade seelisch völlig verwahrlost waren.“ Auf den Skizzen, die sie herumreicht, sieht man geisterhafte Kapuzenmänner mit Benzinkanistern um ein Feuer herumstehen – das Thema einer Roadshow, die sie mit Akribie und Leidenschaft durchgeplant hat. „Diese Favelas sind überall“, sagt Anna-Karin Engdahl, „gerade dort, wo Wohlstand und Stabilität herrschen. Ich möchte die Schwedischen Favelas zu den Leuten bringen, die es angeht.“

Die Schwedischen Favelas in der Vitrinengalerie an der Maastrichter Straße

Seit zwei Jahren arbeitet sie bereits an dem Konzept, und es ist in dieser Zeit Material unter Einsatz aller denkbarer Medien entstanden. Im März waren in der Staatsgalerie Delirien an der Maastrichter Straße ihre Installationen zu sehen: Mit Paketband und Gaffer Tape zusammengeklebte Häuser aus Pappe mit Stelzen und Pultdächern, hohlen Fenstern und toten Bäumen, garniert mit farblosen schwedischen Flaggen und aufgespießten Puppen. „Die vollständige Installation füllt einen ganzen Raum“, bemerkt ihr Mann Jörgen Engdahl, der bei Transport und Aufbau hilft. Auf der Projektseite sind Videos zu sehen, bei denen der mit den Engdahls befreundete Steve Blame Regie geführt hat: in einem bizarren Reigen umkreisen Kapuzenleute einen aus Pappe errichteten Mittsommerbaum. Der Baum lehnt derzeit in Einzelteilen an der Atelierswand: Ein galgenförmiger Stamm, der graubraune, nackte Pappkränze trägt, als wären es Autoreifen.

So könnte eine LIve-Performance aussehen

Die schwedischen Traditionen sind der Schlüssel für das Verständnis des Favela-Projektes: „Richtige Favelas sind geprägt von Gewalt, Drogen und Willkür“, sagt Anna-Karin Engdahl und führt uns durch die Kellergänge des Gründerzeitbaus an der Richard-Wagner-Straße, „aber dort gibt es nachbarschaftlichen Zusammenhalt, der neben dem schieren Überleben viel menschliche Wärme bietet. Bei uns gibt es ritualisierte Feste, die genau diese Nachbarschaft feiern, aber wie häufig tanzen innerlich leere Menschen ohne Mitgefühl sinnlos um ein Feuer, das niemandem die Seele wärmt.“

Bizarre Kapuzenmänner: Anna-Karin Engdahl erklärt ihr künstlerisches Konzept

Draußen hat ein Platzregen eingesetzt, Kinder lassen sich das aus den Rinnen überlaufende Wasser lachend in die Kapuzen laufen. „Das ganze Haus ist voll mit fantastischen Leuten“, sagt Anna-Karin Engdahl und weist auf die großen Atelierfenster auf der Rückseite des Hofs, „das inspiriert mich für meine Arbeiten.“ Einer ihrer Pläne ist eine gemeinsame Werkschau. „Architekten, Musiker, Schriftsteller, das Viertel platzt ja vor Kreativität.“ Den schwedischen Favelas steht wohl noch eine bewegte Zukunft bevor.

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