Im Nachhinein erscheint es wie ein Paukenschlag, als ob jemand die Tore von St. Michael weit aufgestoßen hat: Die Kulturreihe Art & Amen, die seit Mai in der Kirche am Brüsseler Platz stattfindet, ist das jüngste Projekt einer engagierten Truppe um Pfarrvikar Klaus Werner Bußmann. Die Kirche sollte wieder offen stehen, nahm er sich vor, als er im vorigen Jahr seinen Dienst in St. Michael antrat. Mit einem liebevoll gestalteten Programm und überzeugten Mitstreitern aus Kunst, Kirche und der ganzen Nachbarschaft hat sich der Ort in kürzester Zeit wieder zu einer Begegnungsstätte für das ganze Belgische Viertel entwickelt – auch wenn dieses weniger katholisch ist als je zuvor. Ein Gespräch, geführt im Kirchenschiff.
„Es hat mich gestört, dass die Kirche immer zu war“, erklärt Bußmann die Anfänge seines Engagements, „also haben wir eine Kirchenwache organisiert und nachmittags wieder die Türen geöffnet. Die Leute sollten mal wieder hineinkommen.“ Diese Gelegenheit nutzten die Besucher umgehend – und schnell ergaben sich vielfältige Gespräche mit Bewohnern und Gästen. Bußmanns Hausbesuche im Quartier taten ein Übriges: „Es wohnen hier zwar noch relativ viele Alteingesessene, aber das Viertel hat sich in der letzten Zeit doch sehr entwickelt. Ich war erstaunt, wie viele Künstler ich auf meinen Besuchen getroffen habe.“ So entsprang der Gedanke, die Kirche für Kunst und Kultur zu öffnen – aber mit klarem Bezug zu kirchlichem Kontext, zu Spiritualität und Einkehr. „Wir sehen diesen Raum auch als einen Kontrapunkt zum Lauten, Bewegten da draußen auf dem Platz. Hier ist Raum für Ruhe und Kontemplation“, erklärt Bußmann.
Im Januar 2011 bildete sich ein Kreis mit einer Vielzahl an kulturell Interessierten aus dem Veedel. „Wir haben den Pantomimen Milan Sladek dabei gehabt, der wohnt hier um die Ecke, dann natürlich unser Team aus der Pfarrei in der Moltkestraße, die Gastronomen aus der Nachbarschaft, Studenten, alles war dabei.“ Zunächst wurde gemeinsam mit dem Ordnungsamt und den umliegenden Gastronomen ein Konzept entwickelt, den Brüsseler Platz ruhiger und sauberer zu bekommen. Die Pfarrei selbst beteiligte sich aktiv, indem sie einen Ausschank organisierte. Parallel dazu entwickelte sich das Konzept Art & Amen. In einem offenen Teil wird freitags abends im Kulturraum im hinteren Teil der Kirche Musik aufgeführt oder die schon recht bekannte Kurzfilmreihe fortgeführt. Ergänzt wird dies durch ein geschlossenes Format, vorzugsweise sonntags oder zu speziellen Gelegenheiten wie zuletzt der c/o pop. Dann werden Konzerte gegen Eintritt aufgeführt. Gut kam das „Silent Concert“ an, das ausschließlich über Kopfhörer aufgeführt wurde. „Und dann gibt es den Kunstteil vom Viertel für das Viertel“, sagt Bußmann, „da suchen wir Künstler aus dem Viertel aus, deren Werke gut zur Philosophie der Reihe passen.“ Im August waren dies Installationen des Videoregisseurs Philip Schnurr, im September folgt eine Fotoausstellung über den Jordan: Die Themen dürfen ruhig auch politisch sein.
Begeistert ist Klaus Werner Bußmann von der Offenheit des Viertels für die kirchlichen Aktivitäten und das viele positive Feedback. So stellen die benachbarten Lokale häufig das benötigte technische Equipment, Modeboutiquen beteiligen sich am Kartenverkauf für die Veranstaltungen. „Wir waren überrascht, wie schnell unser Konzept aufgenommen wurde“, freut sich Bußmann. „Es kommen mittlerweile Bewerbungen herein; immer mehr Künstler wollen ausstellen. Da wir alles ehrenamtlich organisieren, benötigen wir natürlich ständig Helfer – sei es für die Bedienung von technischer Ausstattung oder auch nur als Werbeausträger für unser Programm.“ Selbst das Offenhalten der Kirche benötige Freiwillige. Schließlich müsse ein Minimum an Aufsicht gewährleistet sein.
Art & Amen ist nicht die einzige Aktivität in St. Michael. Nach wie vor bildet die Messe den Kern des kirchlichen Lebens im Veedel. „Im Regelfall kommen etwa 50 Gäste zum Gottesdienst“, erklärt Bußmann. „Auch hier bieten wir aber neue, experimentelle Formen des Zusammenkommens an: Bei der Valentins-Segnung kamen beispielsweise 200 Leute, die Kirche war voll. Wir haben den Paaren Raum für Gespräche untereinander geboten, sie konnten frei durch das Kirchenschiff flanieren und sich kennen lernen. Auch zu unserem Sommerabend-Fest bieten wir wieder eine solche Messe an: Zum Thema ‚Baustelle Kirche‘ werden Stände aufgebaut, zwischen denen man hin- und hergehen kann.“ Die spätabendliche Konzertreihe „Nachtklang“, die schon seit zwei Jahren existiert, rundet das Spektrum ab. Die Angebote werden gut angenommen; daher konzentriert sich St. Michael im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb der Pfarrei St. Gereon auf das junge, urbane Milieu, während Neu St. Alban im Norden den Schwerpunkt auf Familien legt und die Hauptkirche St. Gereon Akzente für das kunsthistorisch interessierte Bürgertum setzt.
Das Gebiet dieses Tripels ist groß: Innerstädtisch reicht es bis zum Stadtmuseum, im Norden bis über den Medienpark hinaus und im Süden bis an den Rathenauplatz. Trotzdem sind dort nur wenig mehr als 6.000 Katholiken gemeldet. „Köln ist gerade im innerstädtischen Bereich kaum noch katholisch“, resümiert Bußmann, „umso wichtiger ist es uns, die Menschen einzuladen und mit ihnen im Gespräch zu bleiben.“