Currywurstschredder

Belgisches Viertel und Staatsgalerie Delirien präsentieren:

Currywurstschredder – der Vitrinenroman in Echtzeit

Vom 1. April bis zum 1. Mai wird in der Staatsgalerie Delirien an der Maastrichter Straße 24 im Belgischen Viertel der erste Vitrinenroman der Welt ausgehängt – und zwar in Echtzeit. Die Handlung startet am pünktlich am 1. April, jeden Tag wird ein neues Kapitel in die Vitrine gehängt und am 1. Mai erfolgt das letzte Kapitel. Man kann also herrliche Mittagspausen Eis schleckend oder mit der Pommes in der Hand vor der Vitrine mit Lesen verbringen. Der Roman ist bisher noch nicht verlegt worden und nirgendwo erhältlich. Aber das kann sich ändern! Hier kann jeder Interessent eine Mail einschicken, wenn er sich für eine gedruckte Version interessiert: mail@belgischesviertel.net.

Alle Subskriptionen werden gesammelt für die Suche nach einem aufgeschlossenen Verleger. Je mehr Interessenten, desto eher wird etwas draus. Im Erfolgsfall winkt jedem, der sich hier gemeldet hat, zum Dank eine handsignierte Ausgabe mit Widmung und Bild.

Nun aber zum Inhalt:

Nach den vielen Revivals der fünfziger bis achtziger Jahre ist „Currywurstschredder“ ein Roman über die Neunziger – genauer, deren erste Hälfte. Gerade einmal 20 Jahre her, erscheint uns diese Welt ohne Handys, Internet und Globalisierung trotzdem seltsam fremd, in der ein 11. September ein normaler Geburtstag war, die Regierungschefs Bush (senior), Kohl oder Mitterand hießen und der Osten noch fremd und wild war.

Wir begleiten fünf junge Männer, alle Anfang zwanzig, kreuz und quer durch Nordrhein-Westfalen: David, ein romantischer, intelligenter, aber eitler und egozentrischer Schöngeist; Ilja, ein gewitzter und schlagfertiger, aber allzu unbekümmerter, geradezu fahrlässiger Charmeur; Mighty, ein gewinnender, aber sturer und bedenkenloser Hedonist; Notker, ein feinsinniger, aber gehemmter und neurotischer Intellektueller; Hans-Anton, genannt Hannah, ein leidenschaftlicher, aber zuweilen anmaßender und exzessiver Hansdampf. Sie schlagen sich durch Fährnisse, die junge Männer zu allen Zeiten haben werden: Sie rebellieren, sie ringen um Anerkennung, sie zweifeln an sich und verzweifeln am anderen Geschlecht, sie trinken, rauchen und spotten über alles und jeden – nur über sich selbst denken sie nicht einmal nach. So laufen sie blind in die größten Schwierigkeiten hinein und geraten nacheinander in selbstverschuldete Lebenskrisen. So tragisch diese Krisen sein mögen, sie haben auch komische, zuweilen absurde Begleiterscheinungen – und wir staunen, wie sie dort trotz aller Ignoranz und Arroganz wieder herausfinden. Für Zwanzigjährige mag die Handlung vertraut wirken, der geschichtliche Rahmen dagegen fast exotisch. Vierzigjährige werden es umgekehrt sehen.

Im April des Lebens befänden sie sich, entwerfen die Protagonisten das zentrale Gleichnis des Buches. Denn wäre das Leben nur ein Jahr lang, dann entspräche ein Jahr fünf Tagen und sie selbst seien seit ihrem 18. Geburtstag in diesem launischsten aller Monate und doch sehr fern vom Lebensherbst. Und das probieren wir aus: Wir holen unsere Helden einen nach dem anderen ab und beginnen mit der Handlung am 1. April, es regnet, die Bäume sind kahl. Wir hören zu, was sie von der gerade erfolgten Wiedervereinigung halten und davon, dass die Scorpions die Hitparaden belegen, was Liebe und was Freundschaft ist oder was man mit seinem noch langen Leben anzustellen gedenkt. Im Hintergrund laufen ihre Platten, neben ihnen stehen ihre Drinks, sie reden ernsthaft, dann fällt jemandem ein Witz ein und die Diskussion verliert sich im Geplapper. Schnell gewinnt der Monat an Fahrt: Sie verlieren ihre Arbeit oder ihr ganzes Geld, prügeln sich mit Nazis, bauen Unfälle, gewinnen und verlieren ihre große Liebe, ziehen aus und ein, nehmen jeden erdenklichen Job und jeden Exzess mit, der sich bietet – und schon ist der Monat vorbei, die Vögel zwitschern auf blühenden Kastanien und wir schreiben den 1. Mai.

So chaotisch dies alles auch wirken mag: Die Handlung ist nicht zufällig. 31 Kapitel entsprechen 31 Kalendertagen und 31 möglichen Permutationen, in denen die fünf Hauptfiguren auftreten. Hierdurch ergeben sich Brüche im Erzählstrang, aber der Verlauf der Tragödien ist unerbittlich, ja mathematisch. Jede Hauptfigur erlebt ihre eigene im Abstand von sechs Kapiteln (=Tagen) allein; das Schlusskapitel, in dem Bilanz gezogen wird, entspricht der einzigen Permutation mit allen fünf Hauptfiguren. Sie sind kaum schlauer geworden, aber verhelfen mit ihrer schicksalsergebenen, fröhlichen Resignation dem leichten Element der Komödie doch noch zum finalen Durchbruch.

Der Roman ist aber auch eine touristische Operation: Liebevoll und schonungslos zugleich widmet er sich den großen und kleinen Städten an Rhein und Ruhr, er nimmt uns mit in die Schwebebahn, an die Ruhr-Universität, auf Autobahnen nach Wermelskirchen und Vorortzüge nach Mettmann, an Stauseen und Rheinpromenaden. Und zeigt uns manchen Ort, der heute schon verschwunden und damit nur noch historisch ist.

Den Vierzigjährigen zum Gedenken, den Zwanzigjährigen zur Mahnung.

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