Street Art im Belgischen Viertel – Ein Rundgang

xxxhibition: Knallbunte Werke mit wiederkehrenden Motiven

Street Art hat es schon lange von der Straße in die Galerien geschafft. Trotzdem sieht man sie immer noch vor allem auf der Straße – auch im Belgischen Viertel, das ja immerhin eine hohe Galeriedichte hat. Aber wo ist sie überall?

Und wer sind die wichtigsten Künstler? Paste-ups, Stencils, Aufkleber, Graffiti, Kacheln und Skulpturen: Im Belgischen ist unglaublich viel zu entdecken, auch wenn manches versteckt ist. Fachkundige Leitung holte ich mir bei Sandra, einer ausgewiesenen Kennerin der Street-Art-Szene, die ihre weltweit unternommenen Foto-Streifzüge unter dem Pseudonym Artkissed veröffentlicht.

Little Lucy von El Bocho: Das Mädchen mit der toten Katze.

Papier, Keramik, Objekte

Treffpunkt: Brüsseler Platz. Sandra hat eine Spiegelreflexkamera um und verliert keine Zeit. Wir gehen die Nordseite ab, nicken kennerhaft „Little Lucy“ zu, einer Schöpfung des Berliners El Bocho. Sie killt im Viertel auf mindestens drei verschiedene Arten ihre Katze. Dann biegen wir in die Moltkestraße ein. Dies ist ganz klar das Revier von xxxhibition, einem Kölner Künstler, der hier bevorzugt seine Werke anbringt. Der Schmetterling hängt immer noch auf der Höhe des People’s Store zehn Meter hoch in den Bäumen, mit verbogenen Flügeln zwar, aber nicht totzukriegen. In der ruhigen Allee gefällt es dem Street-Art-Künstler, Objekte anzubringen: geflügelte Käseecken, Sprühdosenraketen, mit Stacheldraht dekorierte Grabkerzen. Auch Fliesen sind hier immer wieder zu finden.

Das Rätsel der Pseudonyme

Sandra weist mich auf eine in seinem Stil gehaltene Kachel hin. „Kuck mal, da steht eine andere Signatur drauf. Paxdiode. So hieß er jahrelang nicht! Was das wohl bedeutet?“

Paxdiode, ein weiteres Pseudonym von xxxhibition: Typische bunte Kachel.

Darauf wissen wir keine Antwort. Wir sehen weitere Beispiele von xxxhibitions Schaffensdrang, auch knallfarbige Graffiti, alles ausschließlich westlich der Brüsseler Straße, oft nah am Grüngürtel. An der Aachener Straße biegen wir wieder in die Innenstadt ein und entdecken noch mehr Fliesen: zerschlagene Exponate, deren Scherben gleichwohl eindeutige Inhalte preisgeben. Pornomotive mit Oralszenen, die Penisse übermalt mit Bananenschalen.

Rakaposhii: Comic-Ästhetik mit Tiefgang

Brücken sind bei den Künstlern ohnehin beliebt, denn wettergeschützt überleben die Werke länger. Gegenüber entdecken wir einen versteckten DIN-A4-Zettel mit Glücksklee zum Abreißen („If you’re fucked, take two!“). Daneben eine kleine Holztafel mit einem abstrakten Motiv, rosa auf schwarz. Autoren unbekannt, keine Signatur.

Street Art – Spiel oder Rivalit

Stadteinwärts hat der ebenfalls in Köln lebende Rakaposhii seine Lieblingsstelle: Neben dem Subway klebt nun schon sein zweites Paste-up, eine Hommage an den Rapper Motrip. Immer seltener werden seine Werke abgerissen; Motrip hängt schon seit April.

Van Ray scheint derzeit zu polarisieren. "Kauft nicht bei deutschen Künstlern" hat an der Maastrichter Straße jemand sein Plakat überschrieben.

Sein Junge mit Käppi, der an der Bismarckstraße eine leere Wand ziert, ist sogar seit über einem Jahr unbeschädigt geblieben. „Aber ich weiß nicht, warum Van Ray da drübertapeziert hat“, bemerkt Sandra und weist auf das Papier mit einem anderen traurigen Jungen und dem Schriftzug I don’t know either, dessen Ecke weit in das Kunstwerk hineinragt, „eigentlich machen die sowas nicht.“ Ein Künstlerstreit? Eine geheime Botschaft? Fragen kann man die Beteiligten nicht, man kommt nicht immer an sie heran. Und wenn, würden sie vermutlich nichts dazu sagen…

Das ist nicht Banksy, sondern eine Komposition aus zwei verschiedenen unbekannten Street-Art-Künstlern.

Götter und ihre Anhänger

Wirklich aufgeregt wird Sandra, als sie an der Brabanter Straße eine auf die Fassade gesprühte Überwachungskamera sieht. Sie scheint die erwarteten Besucher der neu eröffneten Diskothek „Pan Tau“ aufnehmen zu wollen. „Das sieht aus wie Banksy!“, ruft sie. Nur mühsam kann ich ihre Begeisterung nachvollziehen, bis sie mir erklärt, dass Banksy, Engländer, der Gott und weltweit führender Vertreter der Street Art ist. „Aber der war noch nie in Köln!“, wundert sie sich. „War er wohl“, kommentiert ein nahebei stehender Mann, der sich uns als Markus Feuerspucker vorstellt. Ob er ihn denn gesehen hätte, will Sandra wissen. Das man seine Handschrift doch wohl sehe, entgegnet Markus. Der sei doch schon so oft kopiert worden, erwidert Sandra. Die Fachdiskussion zieht sich über Minuten.

Notnice: Eine Giraffe blutet aus dem Auge. Lindenstraße.

Kleine Verrücktheiten

Street Art muss nicht groß sein und nicht berühmt. Die Mehrzahl der Werke ist klein, manchmal entdeckt man sie auf Trafokästen oder Rückseiten von Verkehrsschildern. Kleine Stencils, also mithilfe von Schablonen aufgesprühte Motive, zeigen Shakespeare, Tick, Trick und Track oder einen wütenden Mann, der ein T-Shirt mit Domtürmen herzeigt. Nur wenige sind signiert. „Isch geb eusch gleisch Kultur!“ sagt ein Aufkleber an der Lützowstraße. Um die Ecke an der Lindenstraße wieder ein prominenterer Vertreter: Decycle und sein regenbogenfarbiger Engel. Und immer wieder kleine Papierwerke mit individuell gezeichneten Freaks. „Das ist Olf“, erklärt Sandra. „Liebevoll gemacht, aber auch ein bisschen naive Kunst. Nicht so mein Fall.“ Richtig eklig findet sie ein Werk aus Teppichfliesen an der Vogelsanger Straße, das einen Eisbecher darstellt. „Ich habe nie vorher und nachher sowas gesehen“, kommentiert sie und weist auf die verrußten, filzigen Eiskugeln. „Das unsägliche Teil hängt hier seit Jahren. Wenn man bedenkt, welche Kunstwerke nicht mal drei Tage überstanden haben…“

Cozy, Lindenstraße: Brücken ziehen Kunst an

Ein Viertel voll Kunst

An der Maastrichter Straße trennen wir uns. Sandra mustert noch ein paar Aufkleber von einem gewissen „Spread Love Sticker Project“, die offenbar echten Seltenheitswert haben. „Ich dachte, ich wäre die einzige in Köln, die die Dinger hat“, murmelt sie noch, bevor wir uns dann verabschieden, und schießt ein paar Beweisfotos. Ob es was gebracht hätte, will sie wissen. Nun, gebracht hat es eine besonders gründliche Bestandaufnahme von Street Art in einem Viertel, das nicht gerade viele freie Wandflächen hat. In den Ehrenfelder Industriebrachen ist wesentlich mehr Raum, aber das Belgische ist doch sehr prominent bestückt.

Captain Borderline: oft kritisch und politisch. Mural an der Richard-Wagner-Straße.

Zwei Tage später mailt mir Sandra, dass wir vor lauter Quatscherei glatt ein komplettes Mural übersehen hätten, fünf mal acht Meter groß, das müsse uns auch erst einmal einer nachmachen. Tatsächlich: tags drauf sehe ich das eindrucksvolle Wandgemälde von Captain Borderline an der Richard-Wagner-Straße mit dem geknebelten Dalai Lama, pünktlich zum China-Jahr der Stadt Köln. Auch das Große will halt entdeckt werden.

 

 

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