Musikalische Totenmessen

 

Zu Cembaloklängen wachen zwei betrauerte Tote auf. Kemnitzer/Viela in der Moltkerei.

Zur Kölner Musiknacht konnte, wer im Belgischen Viertel nach Besonderem suchte, zwei ungewöhnliche Totenmessen erleben. Die Moltkerei bot mit einer Koproduktion von Sonja Kemnitzer und Beatriz Vilela die klassische Variante: „Lamentations“, Cembalo-Stücke, die französische Künstler im 17. Jahrhundert für verstorbene Freunde schrieben. Wer noch nie ein Cembalo live erlebt hatte, wurde hier gut bedient – und hatte auch reichlich zu sehen, denn die Darbietung wurde von einer Performance mit Tänzerinnen in Totenhemden bereichert. Im Studio 672 hielt derweil ein Elektronik-Jazz-Trio ein äußerst schräges Hochamt für Steve Jobs.

Steve Jobs wäre es mulmig geworden: Oetz/Wagner/Erdmann im Studio 672

iBook, Kindertuten und Kontrabass waren die wichtigsten Instrumente der „intentionslosen“ Messe, die nach dem „Dies irae“ aufgebaut war, dem so genannten „Tag des Zorns“ als Bestandteil einer festen Liturgie in Totenmessen. Fest erschien aber gar nichts: sequentierte Musik und Geräusche, ein wild bespielter, geradezu verprügelter Kontrabass und sich überlagernde Stimmen aus eingesprochenen und aufgenommenen Passagen wirkten wie eine einzige improvisierte Collage. „Guten Tag. Hallo. Guten Tag. Hallo“, verlas Vokalist Andreas Erdmann ein ums andere Mal mit der gruseligen Emotionslosigkeit eines selbst bereits verstorbenen Nachrichtensprechers, bevor er eine ramschige Plastikharmonika zum Mund führte.

Aber auch im Barock war bereits Improvisation vorgesehen. Die Cembalostücke, die Sonja Kemnitzer darbot, sind von Anfang an mit sehr viel Freiraum für Tempo und Intonation komponiert worden – für die Ära des Barock sehr ungewöhnlich. Der Tanz sollte im Kontrast hierzu die Struktur bieten. Die beiden Tänzerinnen bewegten sich tatsächlich wie Uhrwerke, wie Automaten aus dem „Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann.

Der Balkan rockt mit dem Drago Ritter Ensemble im Stadtgarten.

Natürlich wurde noch wesentlich mehr geboten: Das Gewölbe war der dritte Standort im Viertel. Hier wurde viel Elektronik geboten, unter anderem elektronisch präparierte Bratschen – gesteuert über iBook. Im Stadtgarten war außerdem Platz für klassischen Bar-Jazz und eine feurige Sinti-Band, die ganz zum Schluss noch das Restaurant zum Wippen und Klatschen brachte. Und weil die Bahnen gut getaktet waren, konnte man sogar einmal einen Abstecher zum Dom wagen, der seinen Chor geöffnet hatte. Der Hohe Dom zu Köln bei Nacht, erfüllt von Akkordeonklängen, dazu ein schöner Platz im historischen Chorgestühl – auch das ist fast wie eine Totenmesse: ergreifend und meditativ.

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