dc open: Bahn frei für die Besessenen!

 

Ward Shelley im Teapot: Kisten voller Gedanken

Zehntausende Tackernadeln, Schaubilder wie Farbwellen und gedrechselte Stühle: alles Exponate der diesjährigen dc open, die im Belgischen Viertel zeitweise einer Werkschau der Obsession gleicht. Es sind eingängige, geradezu handwerkliche Stücke, die ihren Charme bei langer Betrachtung immer mehr entfalten. Die Verweildauer in den Galerien kuk, Teapot und Susanne Zander war entsprechend hoch.

Zu schön zum Sitzen: Ein echter Stuhl von Junker.

Susanne Zander, spezialisiert auf obsessive Künstler, hat einen echten Geniestreich geschafft, indem sie in Zusammenarbeit mit dem Junkerhaus in Lemgo zwei Stühle und ein Brunnenmodell des berühmten, oft als wahnsinnig charakterisierten Schreiners Junker organisiert hat. Ein Leben lang schnitzte der Mann vor etwa hundert Jahren an seinem Fachwerkhaus herum, bis es so etwas wie ein Gesamtkunstwerk war. Aber auch Auftragsarbeiten nahm er an – und diese Stücke sind nur schwer auf dem Markt zu beschaffen. Da stehen sie nun, die originalen Stühle, gedrechselt, bunt bemalt, mit Ornamenten überladen und zum Sitzen vollständig ungeeignet. Gekonnt stellt die Galerie Zander die  Objekte in den Kontext moderner Besessener, die Architekturentwürfe auf drei mal drei Meter mit Bleistift aufzeichnen oder zehntausende Polaroids eng beschriften, um einer „Kältestrahlen“-Forschung nachzugehen. Architekten in der Realität oder im Geiste, von einer lebenslangen Utopie gefangen.

So schön wie faszinierend: Die Geschichte des Science Fiction

Die Galerie Teapot hat den hinteren Teil ihrer Räume für Ward Shelley aus New York freigemacht. Bis zur Decke stapeln sich Kartons mit interessanten Inhalten: „Podolski Collection Box“, „Things better left unsaid“ steht mit Markierstift auf der Außenseite. Davor: Schaubilder, die Sachthemen aufarbeiten. Die Geschichte des Judentums, der Science Fiction, der Jugendkulturen, des Fluxus, der Zappa-Band „Mothers of Invention“ – als Ströme verschiedenfarbig dargestellt mit Verzweigungen, Sackgassen, Blasen, Vereinigungen, Querverbindungen. Es ist kaum zu fassen, wie solch komplexe Schemata überhaupt noch per Hand entstehen können. Shelley erklärt, wie ihn bestimmte Themen einfach gefangen nehmen und dass er Spaß daran hat, sie zu ergründen. Er wirkt fast wie ein Professor oder sein eigener Kurator, wie er die Besucher an der Hand nimmt und mit ihnen in die Sachthemen einsteigt, die zu seinen Bildern geführt haben.

Die Kettensäge kreischt: Liebe ist ein Projekt, bei dem der Mensch sich häufig übernimmt

Bei kuk in der Jülicher Straße steht Baptiste Debombourg vor monumentalen Tafeln, in die Abertausende Tackernadeln eingeschossen sind. Es dominieren klassisch skizzierte, dabei verfremdete Motive, wie etwa ein doppelköpfiger Jesus am Kreuz oder ein Liebespaar hinter einer Kettensäge. „Tackern ist wie Fresken malen“, berichet Debombourg, „ich arbeite direkt an der Oberfläche. In Prag haben wir eine Wand mit 400.000 Nadeln bearbeitet.“ Dabei tackert er mit einem kleinen Team, um große Flächen zu schaffen.

Alles umsonst: Im Garten ist die Agonie schon überall. Die Gräser und andere winzige Strukturen tackert Debombourg grundsätzlich selbst.

„Es geht sehr, sehr langsam. Für Schatten tackern wir bis zu 16 Schichten übereinander, das gibt einen sehr plastischen Effekt. Wenn man einen Spot darauf richtet, funkelt es in alle Richtungen.“ Seine Motive handeln von der Vergeblichkeit menschlicher Pläne. „Agony in the Garden“ heißt seine aktuelle Schau. „Ein Garten ist so ein menschlicher Plan“, lacht Debombourg, „ständig muss der Mensch dranbleiben, sonst ist sofort alles zugewuchert und voll übler Schlingpflanzen. Wir neigen dazu uns zu überschätzen. Mich als Künstler interessiert der Moment, in dem wir dabei auf die Schnauze fallen.“ Debombourg freut sich über die Reaktionen des Kölner Publikums: „Dass ein Jesus mit zwei Köpfen durchgeht, ist ja nicht selbstverständlich. Ich erkläre den Leuten immer, dass die Doppelköpfigkeit ja auch für Stärke steht, wie beim Doppeladler. Vielleicht beruhigt es manche, dass Jesus die Situation dann doch wieder in den Griff bekommen hat.“ Vielleicht liegt es auch einfach an der fröhlichen Toleranz des rheinischen Publikums.

 

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