Der große Opakneipen-Test

Eine von vielen Heldinnen: Brigitte vom "Bierstûffje"

Gibt es im Belgischen Viertel noch echte Opakneipen? Mit Schummerlicht, bunten Bleiglasfenstern und vollgepackt mit Wimpeln? Wo sich ein Publikum in fortgeschrittenem Alter dem Frühsuff hingibt und ein vom vielen
Zigarettenrauch vergilbter Inhaber Schlagermusik auflegt? Nein, die gibt es
nicht mehr. Der Kernbereich des Viertels gehört ohnehin der hippen Medienszene und den Partystudenten. Vor kurzem musste die „Alte Opernschänke“ schließen, vor einigen Jahren hatte es schon die „Enzian-Stube“ und den alten Böhmer (heute Salon Schmitz) erwischt. Trotzdem haben sich einige
Traditionskneipen halten können, die sich dem langsamen Sterben entgegenstemmen. 11 Kneipen hatten Reportagefotograf Robert Poorten und ich auf dem Zettel. Haben wir alle geschafft? Nein, dafür war es zu lustig.

Clowns und Kitsch: Das wollen wir sehen

Bewaffnet mit einem Bewertungszettel begannen wir den Testlauf am Bahnhof West. Zehn Punkte waren in  verschiedenen Kategorien zu vergeben. Das Licht: schummerig oder grell? Die Einrichtung: Kneipenbarock oder
ultramodern? Eckbänke oder  Stahlrohrsofas? Wie steht es mit Nippeskram: Clowns oder Sinnsprüche geben Punktzuschläge. Kostet das Bier eher 1,20 oder 1,60? Und schließlich das Thekenpersonal: vergilbter Inhaber oder junge Dinger? Ein gutes Schema für den gnadenlosen Test zwischen Gladbacher und Lindenstraße. Bei einem Kölsch pro Kneipe sollte dies an einem Abend machbar sein.

Klassische Eckkneipe mit Küche und Kegelbahn: Die Umleitung

Erste Station: Die „Umleitung“ gegenüber dem
Stadtgarten. Klare Fenster, deren Durchblick aber durch Festschmuck, Pflanzen und Gardinen gekonnt verschleiert wird. Innen ist wenig los, das Personal schweigsam. Die 6,5 Opapunkte, die wir vergeben, sind vor allem dem Durchschnittsalter geschuldet, das wir beim Hereinkommen gleich um zwei Jahrzehnte senken. Tinnef und Wimpel fehlen aber ebenso wie Eckbänke und Schlager.

Zwischen Tradition und Moderne: Das Bierstüffje

Überhaupt der Schlager: Wir hatten nicht berücksichtigt, dass heutige Opas mit der Musik der Sechziger bis Achtziger sozialisiert wurden. Daher läuft auch in unserer nächsten Station irgendein Radiosender, wahrscheinlich WDR 2 oder Erftradio. Das „Bierstüffje“
auf der Bismarckstraße ist ein kleiner, straff geführter Laden, in dem Chefin Brigitte hinter der Theke die Position hält und konsequent Bier nachschiebt. Entzückt mustern wir die Vitrinen voller Karnevalsorden, Clownsammlungen und einer Menge FC-Tinnef. Unmöglich, hier unsere Absichten zu kaschieren: Nach dem dritten Kölsch beichten wir unseren Plan, Opakneipen zu testen. Dies bringt fröhliche Gäste zum Mitdiskutieren, wir müssen unsere Zettel zeigen, und artig rufen wir beim Punkt Personal: „Junge Dinger!“ Die große Glasfront zur Straße tut ein übriges, dass wir nur sechs Opapunkte vergeben: Hier hätten auch 25-jährige Hipster ihren Spaß.

Hier brennt das Bier nicht an: Das Thekenduo von der Venloer Stube

Eine ähnliche und doch völlig andere Welt betreten wir in der Venloer Stube. Im tiefen, schlauchförmigen Raum dominieren dunkles Holz, reihenweise Eckbänke und ein eindeutiges Bekenntnis zum Schlager immerhin an den Wänden, die mit historischen Singles von Mireille Matthieu oder Freddy Quinn förmlich zugenagelt sind. Pokale, Clowns und Weihnachtsmänner zieren die Regale, vor denen die Thekenbelegschaft eifrig zapft. „Junge Dinger“, notieren wir vorsorglich, als uns die Damen das Kölsch servieren und unsere Kriterienliste kritisch prüfen. Wo wir denn noch alles hinwollten? „Weißer Holunder, Veedelstreff…“, beginnen wir. „Da müsst ihr euch beeilen, der Veedelstreff hat nicht mehr lange auf.“ – „Dann Knobelbecher, Pittermännche…“ – „Da wollt ihr noch hin? Das ist ja ganz woanders! Jetzt gibt’s erst noch mal ein Kölsch, ihr müsst bei Kräften sein.“ 7,5 Punkte für die rustikale Einrichtung und die rustikale Fürsorge.

 

Im Pittermännche: Oben blendende Stimmung…

Im Pittermännche neben dem Millowitsch-Theater auf der Aachener Straße sind wir nach zehn Minuten Fußweg – und das bei gemächlichem Schritt. Schon mein Schrebergartennachbar gab mir den heißen Tipp, mal dort vorbeizusehen, „da hat damals noch der alte Schiffmann abends Hans Albers aufgelegt und mit der Bratengabel dazu den Takt auf den Thresen gehauen.“ Wir erwarten angesichts des Karnevalshäuschens vor der Tür Opakost vom Feinsten – und werden zunächst enttäuscht. Zwar hängt abnorm viel Karnevalsdekoration in der vorweihnachtlichen Pinte, aber das ganze hat doch mehr den Charme einer Seemannsspelunke. „Das waren halt Seeleute, der Sohn vom Schiffmann genauso wie der Alte“, klärt uns ein Gast auf. Die Bedienung ergänzt: „Der Klaus, also der Chef heute, der sagt, man muss halt weiterdenken. Passt auf, ich zeig euch mal was.“

...unten großes Raucherkino

Sie weist uns den Weg in den Keller, wo zwei Kegelbahnen einem großen Party- und Raucherbereich Platz machen mussten, mit eigener Theke, Flipper und einem unfassbaren Haufen liebevoll arrangierter Antiquitäten. Die übrig gebliebene Kegelbahn ist auf beiden Seiten mit Sofas und Sesseln dekoriert. „Könnt ihr ohne Miete reservieren, hier laufen die besten Feiern.“ Mehrere Bier und zwei Zigarillos im Raucherbereich gehen hier schon auf unser Konto. „Wir müssen leider weiter“, kündigen wir an. „Macht nichts, wir haben bis fünf Uhr auf.“ In diesem Moment kommen drei Mädchen herein und fragen höflich nach Toilettenbenutzung. Für drei Sekunden ist der Schnitt im Laden auf unter dreißig Jahre gefallen. Im Hintergrund: 90er-Funk und Nuller-Rock. Fünf magere Punkte und große Begeisterung – keine Opakneipe, aber ein toller Laden.

Volle Pulle: "EmTelefönche". Hier soll Zeltinger gesehen worden sein.

„Die Oper“ liegt an der Händel- oder Engelbertstraße, so genau wissen wir es nicht mehr und unsere Sicht wird auch immer schlechter. Wir nehmen uns den Laden für das nächste Mal vor und gehen gleich zum „Telefönche“ an der Brüsseler Straße. „Zehn Punkte!“,
ruft mein Begleiter und beginnt sogleich die Fotodokumentation. Ein schummeriger, geradezu finsterer Laden, außen gekachelt, innen zeitlos rustikal mit Hummelfigürchen und Batterien von Schnapsflaschen, selbst ein Glücksspielautomat tutet penetrant vor sich hin. Die Luft wäre sicher auch zum Schneiden, wenn mehr Gäste da wären als der eine Mann mit Strickmütze und Rollator. „He“, spricht er mich an, „du siehst doch so aus wie der eine da aus dem Osten!“ – „Aus dem Osten?“ – „Ja, aus dem Fernsehen. Der ein buntes Kessel gemacht hat.“ – „Das finden wir heraus“, kündigt Robert an und zückt sein iPhone. „Ein buntes Kessel!“ – „Finde ich nicht.“ – „Probier mal ein Kessel Buntes“, flüstere ich. Tatsächlich: Mehr als ein Dutzend Moderatoren führt die Wikipedia auf. „Wolfgang Lippert“, versuchen wir es. „Der doch nicht!“ – „Manfred Uhlig!“ – „Ihr kuckt falsch nach!
Ein buntes Kessel müsst ihr eingeben!“ – „Karsten Speck!“ – „Genau der!“

In Petra's Eck zapft Christine. Opakneipen sind oft Frauensache.

Es ist spät geworden und wir ahnen, dass wir uns zuviel vorgenommen haben. Petra’s Eck gleich gegenüber auf der Lindenstraße wollen wir aber noch mitnehmen. Eine solide Opakneipe mit schönen traditionell gelb gefärbten Fenstern, durchgelatschten Bodenfliesen und einem Thekenmonstrum, um das sich der Rest des Raumes schlängelt, ja förmlich drängelt. Die einzigen Gäste, ein mittelaltes Pärchen, streiten sich um
Fachbegriffe aus der Sanitär- und Altenpflegewelt. Bald schon verliert der Mann die Geduld und schwirrt empört nach Hause ab. Still machen wir unsere Bestandsaufnahme: Acht Punkte, insbesondere wegen der Fenster. Wir seien gar nicht mehr im Belgischen Viertel, werden wir aufgeklärt, das sei hier schon Rathenauviertel. Aha! „Und das Telefönche da vorne? Ist doch Brüsseler Straße.“ – „Alles vor der Richard-Wagner-Straße ist noch nicht Belgisches Viertel“. Wieder eine Erkenntnis für die Veedelsforschung, die
Lindenstraße ist doch ein zerrissenes, uneiniges Gebiet. Jeder behauptet hier was anderes.

Die Wand erinnert noch an große Opatradition, der Rest nicht.

Gegenüber, im „Lindentor“, bestellen wir ein Taxi. Hier war einmal die opahafteste aller Opakneipen, mit bunten Bleiglasfenstern und Starkstromalkoholikern, die schon zur Mittagsstunde im Sonntagsstaat aus dem Eingang torkelten. Und heute? Eine Sportsbar, das Publikum um die dreißig, alle Fernseher an. Es ist wahr: die Opakneipen sterben. Manche schließen, andere müssen sich verändern, wieder woanders ist der rustikale Charme ein willkommen trashiger Hintergrund für hippe Spaßtrinker in den Zwanzigern. Aber es macht irrwitzigen Spaß, beim Sterben dabei zu sein.

Das einzige Bleiglasfenster im ganzen Veedel ist übrigens im Bistro „Venlo“, der ehemaligen „Stadt Venlo“, zu bestaunen. Durch die blitzblank geputzte Frontscheibe sieht man es an der Rückwand, groß und gelb und grün und rötlich wie ein Kirchenfenster, mit
Allegorien an vergangene Berufsbilder, mitten zwischen ultramoderner Möblierung.

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